#frauenerzählen – Welche Pläne haben Sie?

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Welche Pläne haben Sie?

von Eva

„Welche Pläne haben Sie?“, fragte mich eine Frau im Rathaus der Stadt, wo meine Familie und ich im März 2022 zum ersten Mal ankamen.
„Möchten Sie für immer in Österreich bleiben?“, fragten sie mich bei der Caritas.
„Was haben Sie als Nächstes vor?“, fragten uns die Menschen, die uns ihr Haus vorübergehend zur Verfügung gestellt hatten.

Das schienen normale Fragen zu sein, ganz verständlich und logisch. Wir waren hier, eine Familie mit zwei Erwachsenen und drei Kindern, in einem fremden Land, hatten eine Unterkunft bekommen, eine Möglichkeit, uns von dem Schock zu erholen, und nun mussten wir natürlich an die Zukunft denken und einen Plan für unser weiteres Vorgehen haben. Aber den hatten wir nicht. All diese Fragen brachten uns in eine Sackgasse und ließen uns verwirrt und unbeholfen lächeln. Wir haben alle unsere Pläne in der Ukraine zurückgelassen.

Da war unsere Wohnung, in die wir vor ein paar Monaten eingezogen waren und in der wir im Frühjahr mit der Renovierung beginnen wollten. Da war unser Familienbetrieb zur Herstellung ukrainischen Tees, den wir gegründet und in kleinen Schritten weiterentwickelt hatten. Ich hatte viele Ideen für die Vergrößerung unseres Geschäfts und einen landesweiten Vertrieb.
Unser ältester Sohn war in der zweiten Grundschulklasse und wir hatten vor, unseren mittleren Sohn in einen Kindergarten in der Nachbarschaft zu schicken, in die wir vor ein paar Monaten gezogen waren. Unser jüngster Sohn machte bereits seine ersten Schritte und wir hatten vor, seine ersten Erfolge zu genießen und uns über die Elternschaft zu freuen.

Das waren unsere Pläne. Bis zum 24. Februar 2022.

Der Krieg nimmt viel weg. Aber das Erste ist, dass er das Vertrauen in die Zukunft raubt und einen mit der Tatsache konfrontiert, dass alle Pläne, das ganze Leben in einem Augenblick zerstört werden können. Und man kann das nicht kontrollieren, kann nichts mehr planen.

Und jetzt sind wir hier. In einem unglaublich schönen Land, mit gepflegten Städten und Dörfern, hohen Bergen und lächelnden, freundlichen Menschen. Mit neuen Regeln, Gesetzen, Bräuchen und unverständlicher Sprache. Also … Was sind unsere Pläne?

 „Leben“, sagte ich damals: „Wir wollen leben!“

Ich wusste wirklich nicht, was ich sonst sagen sollte. Alle Zwangsmigrant:innen aus der Ukraine befanden sich in einer ähnlichen Situation. Die Notwendigkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen, frühere Pläne aufzugeben, zu versuchen, nicht zu viel Mitleid und Sympathie zu erregen, sich an neue Realitäten anzupassen, Diplome, Geschäfte und Immobilien in der Ukraine zu vergessen und … ein neues Leben zu beginnen. Es ist fast so, als würde man in einem Film mitspielen, in dem man in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wird – nur unter Wahrung des eigenen Namens und der Erinnerungen, die noch intakt sind und die man noch teilen kann.

Ich betrachte meine Geschichte als wunderschön, denn wir haben es geschafft, unser Unternehmen in der Ukraine zu retten und es in die Hände einer Person zu legen, die es am Leben erhält. Es wirft nicht genug Gewinn ab, um eine Familie zu ernähren, ist aber auch nicht unrentabel. In Zeiten des Krieges ist das ein Glücksfall.

Wir haben in unserer Wohnung nie Reparaturen durchgeführt. Aber das macht uns stärker, weil wir nicht das Heimweh haben, das andere Menschen haben, die schon lange in ihrer Wohnung leben und sie gemütlich eingerichtet haben. Wir hatten dafür keine Zeit und uns noch nicht an sie gewöhnt.

Unsere Kinder sind in das österreichische Bildungssystem integriert. Ohne Sprachkenntnisse ist es nicht einfach, aber Kinder sind sehr anpassungsfähige Wesen und lernen schnell, sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden, vorausgesetzt, sie haben liebevolle Eltern.

Ich habe meinen Mann an meiner Seite. Das ist der wichtigste Teil der Geschichte, der Teil, der sie glücklich macht. Die Ukraine ist kein reiches Land, und sehr oft gehen Männer zum Arbeiten ins Ausland und lassen ihre Frauen und Kinder zu Hause. Denn im Ausland besteht die Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen als in der Ukraine.

Eine Familie hat die Möglichkeit, eine Wohnung und ein Auto zu kaufen, die Ausbildung der Kinder an guten Universitäten zu finanzieren und in den Urlaub nach Ägypten oder in die Türkei zu fliegen. Trennung um der Erfüllung von Träumen willen. Roman und ich haben eine solche Option nie zugelassen. Deshalb haben wir immer alles getan, um zusammen zu sein und unsere Träume in der Ukraine zu verwirklichen.

Zu Beginn des Krieges wurden viele Familien durch die Migration von Frauen und Kindern getrennt. Die Männer blieben in der Ukraine. Zum ersten Mal war alles umgekehrt. Und es ist genauso schwer.

Die Tatsache, dass wir drei Kinder haben, ermöglichte es Roman, das Land zu verlassen. Er kehrte zurück, um Hilfsgüter für das Militär und Autos für die Front über die Grenze zu transportieren. Er reiste eine lange Zeit hin und her.

Und dann blieb er bei mir und den Kindern. Es gelang mir, ihn davon zu überzeugen, nicht in den Krieg zu ziehen. Es war nicht einfach, denn alle unsere männlichen Freunde kämpften jetzt an der Front und Roman fühlte sich schuldig, dass er nicht dort war, nicht unter den heldenhaften Verteidigern seines Landes. Doch sogar diese überzeugten ihn davon, nicht in die Ukraine zu gehen und in den Krieg zu ziehen.

Die Haltung der Österreicher uns gegenüber hat mich zutiefst berührt. In der Wohnung, in der meine Familie die ersten beiden Nächte verbrachte, warteten ein Paket mit Lebensmitteln und eine große Tasche mit Kleidung für die Kinder und einigen wichtigen Dingen auf uns. Freunde meiner österreichischen Freundin stellten uns ihr Landhaus für ein Jahr zur Verfügung. Wir zahlten nur die Nebenkosten und zum ersten Mal fühlten wir uns wohl und Zuhause.

Am Tag unseres Einzugs stellte uns jemand einen Blumenstrauß und eine Flasche Wein vor die Tür. Später fanden wir heraus, dass es eine Nachbarin auf der anderen Straßenseite war, eine ältere Dame, die uns durch ihr Fenster sah und beschloss, uns willkommen zu heißen.

An dem Tag, an dem wir uns im Rathaus anmeldeten, bezahlte jemand unsere Parkgebühr, da wir selbst noch nicht wussten, wo wir parken und wie wir das Parken auf der Straße bezahlen sollten. Ein Fremder hat einfach ein Parkticket auf der Windschutzscheibe unseres Autos hinterlassen.

Verschiedene Leute hörten von uns und kamen, um uns ihre Hilfe anzubieten. Solange wir keine finanzielle Unterstützung erhielten, konnten wir auf die mitgebrachten Mittel zurückgreifen. Das reichte natürlich nicht aus, wenn man die Preisunterschiede zwischen ukrainischen und österreichischen Supermärkten bedenkt. Die Einheimischen standen Schlange, um mit mir zum Supermarkt zu gehen, und bezahlten den Inhalt meines Korbs, bis wir unser eigenes Geld hatten. Irgendwann kam dann der Moment, in dem ich die Hilfe der Leute ablehnen musste, weil wir bereits alles hatten, was wir brauchten.

Diese Freundlichkeit hat mich wirklich tief beeindruckt. Deshalb habe ich allen für ihre Fürsorge gedankt. Das weiß man besonders zu schätzen, wenn man in Schwierigkeiten steckt. Einfache menschliche Freundlichkeit, Empathie, ein Lächeln, Ermutigung, eine Einladung zum Kaffee.

Wir haben uns mit einer österreichischen Familie angefreundet, die wie wir drei Kinder hat. Sie luden uns ein, sie an Feiertagen zu besuchen, und wir luden sie ein und stellten ihnen die ukrainische Küche und unsere Traditionen vor. Dieser Austausch ist für mich sehr wichtig und wertvoll. Diese Menschen bleiben für immer in meinem Herzen.

Wir sind jetzt seit eineinhalb Jahren hier. Wir brauchten Zeit, um uns nicht nur an die neue Umgebung zu gewöhnen, sondern auch um zu erkennen, dass wir unsere Zukunft wieder planen können. Unsere Pläne sind noch vorsichtig und reichen nicht besonders weit. Aber wir gewinnen das Vertrauen zurück, dass wir unser Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Es ist eine Frage der Zeit, bis wir diese psychologische Barriere überwunden haben werden.