#frauenerzählen – Hab keine Angst zu träumen, fürchte die Erfüllung deiner Wünsche.

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Foto: Alina

Hab keine Angst zu träumen,
Fürchte die Erfüllung deiner Wünsche.

von Alina

Träumen Sie gerne? Ich liebe es, seit ich ein kleines Mädchen war. Meine Eltern arbeiteten viel und ich konnte oft mit meinen Träumen allein sein. Sie waren immer verschieden – über die Familie, über mein Leben, über Dinge, die nie passieren würden und nur eine Fantasie waren. Als ich heranwuchs, wurde mir klar, dass meine Träume bisher nur schöne Illusionen gewesen sind. Um sie zu meiner Realität zu machen, musste ich lernen, mit ihnen umzugehen. Ich habe lange nach Antworten und Möglichkeiten gesucht, um das zu tun, und sie schließlich gefunden.

Das Jahr 2021 war ein Jahr der Transformation meines Bewusstseins. Es war eine Zeit wunderbarer, fruchtbarer Arbeit mit einem Coach, der mir den Weg zu meiner eigenen inneren Welt zeigte. Vor allem lehrte er mich, wie man richtig träumt. Es gibt viele Techniken, um mit Träumen zu arbeiten. Das Einzige, worüber ich nicht nachgedacht hatte, war, ob ich bereit für die Wunscherfüllung war. Wie würde sich mein Leben verändern? Wie werde ich mich fühlen? Ich habe kein Recht, für andere zu träumen, nur für mich selbst. Wie wird sich das auf meine Familie auswirken? Viele Fragen, die man beantworten muss, bevor man anfängt, die Fantasien in die Realität umzusetzen.

2014 flohen meine Familie und ich wegen des Ausbruchs der Feindseligkeiten in der Ostukraine von Luhansk nach Kyiw. Es war sehr schwierig, aber wir haben nicht aufgegeben und nach ein paar Jahren hatten wir ein großes, schönes Haus und tolle Jobs. Wir versuchten, viel zu reisen und unsere Freunde besuchten uns oft. Ich war glücklich, aber ich wollte immer mehr erreichen und mich neuen Herausforderungen stellen.

Anfang 2022 verbrachten mein Mann und ich zwei Tage damit, Ziele zu formulieren, wie wir uns unsere Zukunft vorstellten. Wir schrieben große, ehrgeizige Ziele für das Jahr, Ziele für jedes Quartal und jeden Monat. Wir schrieben auf, welche Schritte wir unternehmen mussten, um das zu erreichen, was wir uns vorgenommen hatten. Es war eine lange und interessante Arbeit. Am Ende sahen wir unseren Plan für das neue Jahr klar vor uns und waren bereit, ihn umzusetzen. Wir waren gerade fertig, als mein Mann zu mir sagte: „Schreib einen Traum von dir unten in den Plan. Es mag dir jetzt unglaublich und unwirklich vorkommen, aber versuche, etwas zu finden, das du dir sehr wünschst.“ Ich schloss die Augen, dachte eine Weile nach und schrieb auf, was mein Unterbewusstsein mir auf Bildern zeigte.

Weniger als zwei Monate später, am 24. Februar 2022, war mein Leben erneut in ein „Vorher“ und ein „Nachher“ geteilt. In meinem Land hatte bereits ein umfassender Krieg begonnen. Am zweiten Tag verließen meine Familie und ich unser Haus, um Sicherheit zu suchen. Zwanzig Tage lang versuchten wir, unser Leben in der Ukraine zu organisieren, aber schließlich beschlossen wir, dass ich mit den Kindern und meiner Mutter nach Europa weiterreisen und mein Mann nach Hause zurückkehren sollte. Nach einer schlaflosen Nacht und mit tränenverquollenen Augen setzte ich mich hinter das Steuer und fuhr ins Ungewisse. Ich hatte keine Freunde oder Verwandte in Europa. Ich wusste nicht, in welches Land ich reisen würde, wo wir schlafen und was wir essen würden. Aber die Sicherheit der Kinder hatte für mich oberste Priorität.

 

Vier Tage später kamen wir in Österreich an. Ich war so müde, dass ich merkte, dass ich nicht mehr weiterfahren konnte. Wir blieben hier. Dieses Land nahm uns sehr freundlich auf, viele Menschen waren fürsorglich und wollten aufrichtig helfen. Ich will nicht beschreiben, wie schwer es für mich allein war, mit all den Schwierigkeiten am Anfang fertig zu werden. Aber mein starker Charakter und der große Wunsch, meinen Kindern ein gutes und friedliches Leben zu ermöglichen, gaben mir die Kraft, jeden Morgen aufzustehen und auf das leere Blatt unserer neuen Realität zu malen.

Um nicht meine ganze Freizeit mit der Lektüre der tragischen Nachrichten aus der Ukraine zu verbringen, habe ich mich schon bald nach meiner Ankunft so viel wie möglich mit dem Studium beschäftigt. Ich lernte weiter Deutsch, das ich schon vorher gelernt hatte, und begann eine Online-Akademie, um meine Berufskenntnisse zu verbessern. Ich nahm an vielen Workshops teil, die mir nach und nach die Besonderheiten des Lebens in Österreich und die möglichen Wege der Integration aufzeigten. Außerdem begann ich, Yoga zu machen, um meinen Körper und meine Gedanken so weit wie möglich in Einklang zu bringen. All dies bewahrte mich davor, in diesem Moment verrückt zu werden, und half mir, mich zu erholen und neues Wissen und Kraft für das weitere Leben zu sammeln. Mit der Zeit wich die Verzweiflung der Gewohnheit, und die völlige Ungewissheit wich der Klarheit darüber, wie es weitergehen sollte.

Irgendwann tauchte eine Ressource auf, nicht nur zum Nehmen, sondern auch zum Zurückgeben. Ich begann, ehrenamtlich zu arbeiten und Menschen aus der Ukraine zu helfen, die es nötig hatten. Es waren so unterschiedliche Menschen mit ganz verschiedenen Geschichten. Einige brauchten Ratschläge, andere Informationen, wieder andere brauchten Essen und Kleidung, und wieder andere brauchten einfach nur eine Umarmung und die Gewissheit, dass alles gut werden würde.

Warum erzähle ich Ihnen das alles, werden Sie sich fragen? Was hat das mit Träumen zu tun? Und was stand unten auf der Zielseite für 2022?

Im Herbst fragte mich mein Mann bei einem Telefongespräch, wie lange ich unsere Ziele, die wir Anfang des Jahres aufgeschrieben hatten, schon nicht mehr überprüft hatte. Nicht seit Februar, antwortete ich. Schau doch mal nach, sagte er.

Ich öffnete das Dokument, und als meine Augen auf den Text am unteren Rand trafen, kamen mir die Tränen. Ich weinte die ganze Nacht. Der Text lautete wie folgt: „Ich möchte im Ausland leben und vorübergehend eine Pause von der Arbeit nehmen. Ich möchte mich viel selbst weiterentwickeln, Yoga und Meditation machen und weiter Deutsch lernen. Außerdem möchte ich Menschen helfen, die Hilfe brauchen, denn das ist wahrscheinlich meine Mission.“